Erfahrungen, Wissen

Muskelregeneration – das eigentliche Aufbautraining

Härter, öfter, stärker – Leitgedanken vieler Bodybuilder, aber auch erschreckend vieler Hobby-Sportler. In den letzten Jahren entwickelte sich vermehrt ein Bild vom Krafttraining, das dem eigentlichen Prinzip des Muskelaufbaus widerspricht.

Von Sinah Matas, diplomierte Fitness- und Personaltrainerin und Wettkampf-Athletin Bikini-Fitness

Fitness ist ein Trend wie kein anderer. Allein in Österreich stieg laut der WKO[1] die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder in Fitness-Studios auf 1.073.000, was etwa 12,3 Prozent der Bevölkerung entspricht. Besonders durch den Einfluss sozialer Medien fühlen sich viele aufgefordert, ihren Zielen im Fitnessstudio nöher zu kommen. Dass dieser Plan meistens nach hinten losgeht, zeigen deutsche Statistiken[2]: 80% aller Neumitglieder kündigten ihre Mitgliedschaft im Fitnessstudio innerhalb der ersten zwei Jahre. Als Begründung äußerten 14 Prozent der Befragten „fehlende Abwechslung und damit Langweile“, 15 Prozent „mangelnde Motivation“, 18 Prozent „gesundheitliche Probleme“, 21 Prozent „zu wenig Zeit“ und 32 Prozent „andere Gründe.“ Ich wage zu behaupten, dass „andere Gründe“ ein Synonym für fehlende Erfolge und Frust ist. Meiner Meinung nach resultieren derartige Enttäuschungen aus der fehlenden Aufklärung über die Basics des Krafttrainings. In fast keinem Fitnessstudio werden Mitglieder ohne entsprechenden Aufpreis ordentlich aufgeklärt, geschweige denn betreut. Viele verzichten auf die Hilfe eines Personal Trainers mit der Begründung: „ich zahle ja bereits für die Mitgliedschaft“ und „ich kann ja auch selbst im Internet recherchieren“.

Und hier beginnt die Odyssee: Die Informationsüberflutung im Web ist gerade beim Thema Fitness ein großes Problem. Tausende selbst ernannte „Experten“ geben verschiedene und teil einander konträre Tipps, Influencer verkaufen erfolgsversprechende Supplements und auf Instagram findet man einen Waschbrettbauch nach dem anderen, was zu zusätzlichem Druck führt. (Eine Umfrage 2019[3] ergab, dass die Anzahl der Personen, die sich durch Soziale Netzwerke gestresst fühlen, seit letztem Jahr von 36 Prozent auf 41 Prozent angestiegen ist!)  Überfordert und verzweifelt stürzen sich demnach viele ins Gym und trainieren hart für einen kurzen oder längeren Zeitraum, scheitern allerdings meistens am wirklichen Fortschritt.

Ist mehr wirklich besser?

Belastung, Regeneration und Superkompensation: Untrennbar miteinander verbundene Phasen des Aufbautrainings

Nur die wenigsten haben schon einmal etwas vom sogenannten „Superkompensations-Modell“ gehört. Die Theorie ist einfach: Durch die Belastung eines Trainingsreizes wird die natürliche Homöostase des Körpers durcheinander gebracht, da der Körper durch die muskuläre und zentralnervöse Belastung direkt nach dem Training erschöpft ist – und damit geschwächter als zu Beginn. Adaption ist allerdings der Kern der Evolution, und so passt sich unser Körper auch an diese neue Situation an und beginnt zu regenerieren. Konkret bedeutet das, die zuvor „zerrissenen“ Muskelfasern zu reparieren und prophylaktisch die Strukturen zu stärken und damit das Leistungsniveau über das ursprüngliche hinaus zu steigern. Das Geheimnis besteht nun darin, den nächsten Trainingsreiz zur bestmöglichen Zeit zu setzen, um diesen Effekt (Hypertrohie bzw. Muskelwachstum) aufrecht zu erhalten, was bedeutet: Sobald alle Systeme regeneriert sind, das nächste Training zu absolvieren. Klingt simpel, oder? Das Problem ist nur, um an die Übermotivation von vorher anzuschließen, dass viele zu früh wieder trainieren, was tatsächlich zu einem entgegengesetzten Effekt führt: Leistungsabfall und im schlimmsten Fall Verletzungen sowie ein geschwächtes Immunsystem. Und nein, die Muskeln wachsen in diesem Fall auch nicht. „No pain – no gain“ und möglichst auf den Muskelkater „drauftrainieren“ ist also tatsächlich suboptimal.

Aber wann ist denn nun der richtige Moment für den nächsten Trainingsreiz?

Wann welche Muskeln trainieren, wann nicht? 5-Tages-Vorschau im Online-Tool myTRS

Eine eindeutige Anwort auf diese Frage gibt es leider nicht, da jeder Körper anders reagiert und funktioniert. Allerdings gibt es einige Faustregeln, z.B. brauchen größere Muskelgruppen (wie die Beine) natürlich etwas länger als kleinere (wie die Schulter). So kann man pauschal sagen, dass die Regenerationsdauer im Schnitt einen bis vier Tage dauert. Aber auch das hängt von unzähligen Faktoren wie z.B.  Trainingserfahrung und -qualität, Schlafdauer und -qualität, Alter, Stress und natürlich der richtigen Ernährung ab. Zusätzlich sendet der Körper bei Überlastung  selbstständig Signale wie Müdigkeit, Appetitlosigkeit, sinkende Motivation, Schmerzen etc. Natürlich kann man die Regeneration durch einen achtsameren Lebensstil (gesunde, aminosäurehaltige Ernährung, qualitativer Schlaf, Entspannungsübungen wie Yoga, Stretching, Massagen, Stressmanagment etc.) proaktiv  beschleunigen – der Schlüssel zum Erfolg bleibt allerdings nach wie vor, den idealen Zeitraum für den nächsten Trainingsreiz zu finden. Die beste Möglichkeit – neben dem Beachten von körperereigenen Signalen – ist somit Protokoll führen, Trends beobachten und Ermüdungsfaktoren ernst nehmen. Denn das eigentliche Muskelwachstum findet in genau dieser Regenerationszeit statt, weshalb es so wichtig ist, dem Körper diese Zeit auch zu geben!

Instagram Story mit Körper-Schaubild im Online-Tool myTRS.
Modell: Vizeschweizermeisterin Stefanie Rechsteiner

 

Ich selbst habe jahrelang entweder zu bald, oder viel zu spät meine nachsten Trainingsreize gesetzt, was natürlich auch zu ausbleibenden Erfolgen und Frust führte. Mir hat das ebenfalls kein Rezeptionist, Trainer, oder gar das Internet sagen können. Erst jahrelange Selbsterfahrung, meine Ausbildung zur diplomierten Fitness- und Personaltrainerin, ordentliche Recherche , sowie den Austauch mit erfahrenen Athleten brachten Licht ins Dunkel. Einen weiteren entscheidenden Denkanstoß brachte tatsächlich die von Programmierer Michael Lipp und seiner Tochter Julia Lipp (dipl. Fitness- und Personaltrainerin) entwickelte Seite „myTRS – mein Trainings-Regenrations-Status“, welche sich exakt mit diesen Themen beschäftigt. Seitdem ich mein Training nicht mehr analog, sondern auf dieser Website protokolliere, sehe ich deutlich, ob meine Trainingsreize günstig geplant und gesetzt werden. Auf Basis wissenschaftlicher Evidenz designten die beiden ein Programm, das aufgrund der gesetzten Trainingsreize und -intensitäten ermittelt, wann und für welchen Muskel der nächste Reiz gesetzt werden oder eben vermieden werden sollte. Ich habe mich entschlossen dieses Sytem zu testen und konnte feststellen, dass ich seitdem nicht nur genauer protokolliere und plane, sondern auch viel bewusster an meiner Regeneration arbeite, indem ich beispielsweise „restdays“ an der richtigen Stelle einlege und im Alltag bewusster auf Regeneration und Entspannung achte.

Was ist also das Fazit?

Muskeln wachsen während der Regeneration. Nicht nur die Intensität und Qualität des Trainings sind entscheidend für das Erreichen deiner sportlichen Ziele, sondern eben mindestens genauso die Pause, die du deinem Körper gibst. Es gilt, Spannung und Entspannung in Harmonie zu halten, was uns neben den muskulären Vorteilen auch zwangsläufig zu einer besseren Lebensqualität durch mehr Achtsamkeit führt.

Sinah Matas, im Juni 2020

Web: https://sinah8.wixsite.com/bemore | facebook: @fit.sinah | Instagram: @sinahmatas

 


[1] Wirtschaftskammer Österreich (WKO), https://www.wko.at/site/Fitnessbetriebe/Der-Fitness-Markt-in-Oesterreich.html, abgefragt im Juni 2020

[2] FITBOOK.de (Axel Springer SE), https://www.fitbook.de/fitness/warum-fitnessstudio-mitglieder-wirklich-kuendigen, abgefragt im Juni 2020

[3] FITPEDIA, https://fitpedia.com/medien/mentaler-stress-durch-social-media-wird-immer-schlimmer/, abgefragt im Juni 2020