Kann man sich auch über kleine Schritte freuen, die für andere fast lächerlich wirken? Ich würde meinen: Ja! Eine Darstellung der Freude darüber, dass man nach einem Leben voller Training wie ein Anfänger dasteht.
Alles immer das selbe?
Nicht jeder, der mit Kraftsport beginnt, hat die selben Voraussetzungen. Das beginnt bei der verfügbaren Zeit, die neben beruflichen und privaten Verpflichtungen für die sportliche Betätigung erübrigt werden kann, und endet bei den unterschiedlichen körperlichen Eignungen, was den Aufbau von Kraft oder Muskelmasse betrifft.
So gibt es beispielsweise die Einteilung der Körperbau-Typen in ektomorph, mesomorph und endomorph. Ich persönlich zähle mich mein ganzes Leben schon zu den Ektomorphen, was bedeutet: immer schlank bis dünn, und die Zunahme an Körpergewicht ist eine ständige Mühsal. Der gut gemeinte Rat, doch einfach mehr zu essen, ist zwar grundsätzlich nicht falsch, hilft aber meist auch nicht weiter. Wer meint, es läge ausschließlich daran, der möge das gerne auch weiterhin glauben: Die Feststellung, dass manche Menschen „schlechte Futter-Verwerter” sind, scheint jedoch evident zu sein.
Also gut: Dann gehöre ich eben zu den Ektomorphen. Sei’s drum.
Spezielle Maßnahmen?
Für Menschen mit ektomorphem Körperbau-Typus wird oft empfohlen, kurz und intensiv zu trainieren und lange genug zu regenerieren. Und neben alledem genug Kalorien zuzuführen und auf energiefressenden Ausdauer-Sport nach Möglichkeit zu verzichten – zumindest in der Aufbau-Phase.
Klingt gut. Allerdings: Die Trainings-Dauer kurz zu halten ist ja nicht das Problem. Aber die Intensität durch relativ schwere Gewichte hoch zu bekommen, eher schon. Warum? Weil ich Mitte Fünfzig bin und mein Leben lang kein Herkules war. Also: Meine Sehnen und Bänder sind zwar in einem guten Zustand durch das Training, das ich seit meinem 17. Lebensjahr fast durchgehend betreibe, aber wirklich herausragende Kraft-Leistungen habe ich nie erbracht. Und damit wäre wohl das Dümmste gewesen, wenn ich mich in diesem Alter an die Gewichte werfe wie ein Zwanzigjähriger, dessen Gewebe noch wesentlich elastischer sind: Vermutlich wären Verletzungen vorprogrammiert gewesen. Und das ist es wohl nicht, wofür ich trainiere.
Also gut: Wenn die Vernunft den jugendlichen Überschwang im fortgeschrittenen Alter verbietet, dann eben anders. Etwas kreativer.
Für immer jung und unzerstörbar?
Den zuvor trainierten Muskeln wirklich ausreichend Zeit zu geben, mit Anpassung an die Trainings-Belastung zu reagieren, scheint mir ja sowieso das Vernünftigste am ganzen Workout zu sein. Andernfalls wäre es ja so, als würde man haufenweise Baumaterial für den Bau seines Hauses bestellen, aber die reihenweise ankommenden Transporter nicht zum Grundstück zufahren lassen. Ebenso erscheint mir das vorzeitige Abbrechen der Aufbau-Phase durch ein zu frühes nächstes Training, das eben diesen Aufbau stört.
Dazu kommt: Je älter man wird, umso länger dauert in der Regel die Regeneration. Das zu ignorieren und so zu tun, als könne man nach wie vor „der Welt einen Haxen ausreißen”, ist aus meiner Sicht kein Zeichen körperlicher Stärke, sondern intellektueller Schlussfolgerungs-Defizite. Das wollte ich sicherlich nicht, also: Was tun, um angesichts der „fortgeschrittenen Stunde” ein zu dieser Lebens-Phase gut passendes, aber auch zielführendes Aufbau-Training zu gestalten?
Digitale statt hormonelle Helferlein?
Mein Glück war, gemeinsam mit meiner Tochter Julia ein Online-Tool namens myTRS entwickeln zu können, das sich auf den Aspekt der Regeneration nach hartem Aufbau-Training konzentriert. Nicht nur, dass dadurch gezeigt wird, wann nach einem vorhergehenden Workout welche Muskelgruppen wieder bereit sind für die nächste Attacke: Durch dieses konsequente Wieder-Belasten, sobald einzelne Muskeln dafür wieder „reif sind”, entstand jene Konsequenz im Training, die ich über all die Jahrzehnte davor nicht auf die Reihe bekommen hatte. Mir persönlich hat dabei am meisten die Tatsache geholfen, dass das Workout niemals mehr langweilig wird: Zu den unterschiedlichen Belastungs- bzw. Erholungs-Graden der Muskel-Partien passen eben immer andere Übungen.
Was mir dieses Tool also im Zuge meines Test-Betriebs gebracht hat, war: Motivation, Bestätigung und ein abwechslungsreiches, lebendiges Training. Und noch dazu: Gute zehn Kilogramm Körpergewicht in etwa anderthalb Jahren. Mehr, nicht weniger.
Endlich Anfänger?
Und jetzt, nach meinem Selbstversuch seit Herbst 2018, bin ich endlich da, wo ein „normaler” männlicher erwachsener Anfänger beginnen würde: Bei rund 80 Kilo Körpergewicht. Klingt vermutlich für viele nicht besonders, ist aber für mich persönlich ein wirklich großer Schritt: In meinen Zwanzigern habe ich es fast nie geschafft, mehr als 75 Kilogramm zu wiegen. Erst jetzt, relativ spät, ist es mit gelungen, diese frühere Grenze deutlich zu überschreiten – und das glücklicherweise mit einem erträglichen Bauch-Umfang, der ja nicht den Großteil des Gewichts-Zuwachses ausmachen soll.
Jetzt stehe ich also auf einem neuen Plateau, das ich dazu nutzen werde, mir nächste Ziele zu setzen. Natürlich wird es in Wirklichkeit nicht so sein, als würde ich tatsächlich mit diesem Gewicht und in jungen Jahren mit dem Training beginnen. Aber: Ich bin auch überzeugt, dass ich die genetisch determinierte Grenze noch nicht erreicht habe. Diese Grenze mittels Training und ohne direkten Eingriff in meine Steuerungs-Systeme auszuloten, sehe ich als Experiment und als Expedition: Spannend bleibt die Sache also allemal.